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AutorenbildSina Glattacker

Bist du stabil? Verankerung von Wandscheiben aus Holz.

Basics: Ideal für alle, die sich einen Überblick verschaffen möchten oder neu im Thema sind.

Unsere Häuser tragen nicht nur die vertikalen Lasten aus Schnee und Eigengewicht, sondern auch die horizontalen Belastungen aus Wind oder Erdbeben. Doch wie werden die horizontalen Lasten bei Häusern aus Holz sicher in das Fundament abgeleitet? Um diese Frage soll es in diesem Beitrag gehen. Wir fokussieren uns dabei auf die Besonderheiten der Holztafelbauweise (bestehend aus einem Holzrahmen und einer Beplankung). Der grundlegende Lastabtrag ist jedoch auch auf die Holzmassivbauweise, wie beispielsweise Brettsperrholz, übertragbar.


Welche Kräfte müssen beim Anschluss von Wandscheiben berücksichtigt werden?

Die Horizontallasten werden über die Deckenscheibe in das Wandrähm eingeleitet und müssen an der Schwelle über eine Schubverankerung aufgenommen werden. Wie in Bild 1 dargestellt, führt der vorhandene Hebelarm zwischen der Lasteinleitung am Kopf und der Lagerung am Fuß der Wandscheibe zu einem Moment, das über ein vertikales Kräftepaar aufgenommen werden kann. Daraus resultiert auf der einen Seite eine Zugkraft und auf der anderen eine Druckkraft. Wichtig ist, dass der Wind in der Regel aus beiden Richtungen weht – daher muss die Zugkraft auf beiden Seiten berücksichtigt werden.

Diese Betrachtung gilt nicht nur für den Holztafelbau, sondern auch für Wandscheiben in Massivholzbauweise.

    

Bild 1: Resultierende Kräfte auf eine Wandscheibe bei horizontaler Belastung

Wie berechne ich die einwirkende Zugkraft?

Bei der Ermittlung der Zugkraft wird das einwirkende Moment üblicherweise durch die Wandlänge geteilt. Maßgebend für die Aufteilung des Moments in ein Kräftepaar ist jedoch nicht die Wandlänge an sich, sondern der Abstand der kraftaufnehmenden Bauteile, also der Abstand der Zuganker. Es ist daher vorteilhaft, die Zuganker an den äußeren Rippen zu positionieren, um den maximalen Hebelarm zu nutzen. Ist dies nicht möglich, muss die Zugkraft anhand des realen Abstands zwischen den Zugankern berechnet werden.

Wie werden die Schub- und Zugkräfte aufgenommen?

Die Horizontalkraft am Kopf der Wandscheibe wird über Schubverbinder, die kontinuierlich an der Schwelle befestigt sind, in das darunterliegende Bauteil weitergeleitet. Die entstehende Zugkraft​ wird über eine Zugverankerung aufgenommen, wobei die Zuganker an den äußeren Rippen angeordnet werden.

Die Schub- und Zugkräfte werden in der Regel über Stahlblechformteile (Schub- und Zugwinkel) aufgenommen. Die zu übertragende Kraft wird dabei mittels Nägeln oder Blechschrauben von der Schwelle bzw. Rippe in eine Stahllasche eingeleitet. Von dort wird die Kraft entweder erneut über Nägel oder Blechschrauben in eine Deckenscheibe aus Holz oder über einen Betonanker bzw. eine Betonschraube in die Bodenplatte eingeleitet.

Die Tragfähigkeit oder die entsprechende Bemessungsgleichung der Stahlblechformteile (Zug- und Schubanker) findest du in der jeweiligen Zulassung (ETA) der Hersteller.

Wusstest du, warum Zuganker standardmäßig an den Rippen befestigt werden müssen?

Rippen werden in der Regel nicht oder nur konstruktiv mit der Schwelle und dem Rähm verbunden. Wird der Zuganker nicht direkt an der Rippe befestigt, müsste die Zugkraft über die Beplankung übertragen werden. Dies führt zu einer Belastung senkrecht zur Rippe (auch s_v,90 genannt), die ein Versagen der Beplankung verursachen kann, wie in Bild 2 skizziert.

Da diese Belastungsart nicht nachgewiesen wird, ist der Anschluss an die Rippe essentiell.

Bild 2: Zugverankerung der Schwelle (anstelle der Rippe) bei Holztafeln nach [1]

Wo werden Zug- und Schubanker benötigt?

Schub- und Zuganker leiten die Kräfte von den oberen Geschossen sicher in das Fundament weiter. Die Ausführung der Verbindungen hängt von der Einbausituation ab, wobei zwischen Anschlüssen an Geschossübergängen und der Bodenplatte, wie in Bild 3 schematisch dargestellt, sowie zwischen Außen- (AW) und Innenwänden (IW) unterschieden wird.

An Geschossübergängen können die Kräfte direkt in die darunterliegenden Wände oder über die Deckenscheibe abgeleitet werden, sofern diese die resultierende Biegebeanspruchung aufnehmen kann. Bei Außenwänden erfolgt die Ableitung der Kräfte oft direkt über Zug- und Schubbleche in die darunterliegenden Wände, ohne die Decke zu belasten. Für Innenwände ist dies ebenfalls möglich, wenn die Decke entsprechend modifiziert wird, um die Verbindungselemente durchzuführen.


Bild 3: Einbausituationen für Schub- und Zuganker


Was ist wichtig zu beachten?

Die theoretische Planung kann von der tatsächlichen Einbausituation abweichen. Daher möchten wir im nächsten Abschnitt auf einige Fehlerquellen hinweisen.

In Bild 4 (a) ist der Schubanschluss einer Außenwand (AW) an die Beton-Bodenplatte dargestellt. Hier sind mehrere Punkte zu beachten: (1) Aus bauphysikalischen Gründen kann es vorkommen, dass die Bodenplatte nicht bündig mit der Außenkante der Wand abschließt. Dies reduziert die Randabstände des Betonankers, was zu einer verringerten Tragfähigkeit führt – sowohl bei Zug- als auch bei Schubbelastungen. (2) Unebenheiten der Bodenplatte werden häufig mit Quellmörtel und/oder einer Richtschwelle ausgeglichen, was beachtet werden muss, da der dadurch entstehende Hebelarm die Schubtragfähigkeit des Ankers verringern kann und in einigen Fällen sogar zur Unzulässigkeit des Betonankers führt.

Bild 4 (b) zeigt den Schubanschluss am Geschossübergang. Hier muss sichergestellt werden, dass die Schubkraft von der oberen Wand bis in die darunterliegende Wand sicher weitergeleitet wird. In diesem Beispiel erfolgt die Lastübertragung aus der oberen Wand über einen verklammerten OSB-Überstand in die Richtschwelle und von dort mittels Verschraubung in die darunterliegende Decke. Diese leitet die Schubkraft ebenfalls per Verschraubung in die darunterliegende Wandscheibe weiter. Besonders im Holztafelbau muss die Last oft über mehrere Fugen hinweg übertragen werden – achtet daher immer darauf, den vollständigen Lastpfad nachzuvollziehen.

Bild 4 (c) zeigt einen Zuganschluss einer Wand, bei dem die Zugkraft mittels eines Zugblechs direkt an die darunterstehende Wand weitergeleitet wird. Dabei ist besonders auf den Randabstand zum Hirnholz der Rippe zu achten und darauf, dass das Zugblech eine ausreichende Länge aufweist, um an den Rippen angeschlossen zu werden. Im Gegensatz dazu wird im Beispiel von Bild 4 (d) die Zugkraft in die Decke eingeleitet. In diesem Fall muss sichergestellt werden, dass die Decke selbst die Last abtragen kann (auch wenn dies meist nicht maßgebend wird) und diese auch an die darunterliegenden Wände weiterleiten kann. Bei Holzbalkendecken, die häufig mit einem Schwalbenschwanz an den Randbalken befestigt sind, müssen bei fehlender Auflast zusätzlich zugfeste Verbindungsmittel angeordnet werden, und der Randbalken muss in der Lage sein, die Zuglast an die darunterliegende Wandscheibe zu übertragen.



Bild 4: (a) Schubanschluss Außenwand an Betonsockel, (b) Schubanschluss OG - EG,

(c) Direkte Weiterleitung der Zugkraft mittels Zugblech, (d) Einleitung der Zugkraft in Decke

Zuganker sind ziemlich teuer. Wie kann ich die Anzahl reduzieren?

Zuganker sind tatsächlich teuer und aufwendig anzubringen. Daher lohnt es sich, bei der Ermittlung der Lasten genauer hinzuschauen. Hier einige Pro-Tipps, wie du die Anzahl reduzieren kannst: Nutze die vorhandenen Auflasten der Decke: Zuganker müssen die abhebenden Lasten der Wandscheiben aufnehmen, aber du kannst die Auflasten aus der Decke ansetzen. Wenn deine Wandscheibe parallel zur Deckenspannrichtung steht und somit keine direkte Auflast erhält, kannst du die meist aus konstruktiven Gründen vorhandene Eckverschraubung (wie in Bild 5) nutzen, um die abhebende Last in die benachbarte Wandscheibe mit Auflast einzuleiten. Kann die Eckverschraubung die abhebende Kraft vollständig aufnehmen und ist die Auflast größer als die zu verankernde Zugkraft, hast du bereits einen Zuganker eingespart.* Das gilt natürlich analog für den Anschluss von Innenwand an Außenwand.

Vernachlässige kurze Wandscheiben: Die Zugkraft resultiert aus einem Moment, das in ein vertikales Kräftepaar aufgeteilt wird. Das bedeutet, dass du das Moment durch den Abstand des Kräftepaares teilst, was in diesem Fall der Wandlänge entspricht, wie in Bild 1 zu sehen ist. Das heißt auch umgekehrt: Je kürzer die Wand, desto größer wird die Zugkraft (unter der Annahme, dass die Kopflast unverändert bleibt). Daher kann es sinnvoll sein, sehr kurze Wände nicht für das Aussteifungssystem heranzuziehen.



Bild 5: Eckverschraubung

*Bei der Bemessung der Schrauben ist übrigens die Beplankung als Zwischenschicht zu berücksichtigen.


Key Take-aways:

  • Horizontale Lasten erzeugen Schub- und Zugkräfte, die am Fußpunkt der Wand verankert werden müssen.

  • Schub- und Zugkräfte aus den oberen Geschossen müssen entweder indirekt über die Decke oder direkt in die darunterliegenden Wände eingeleitet werden. Bei indirekter Lastweiterleitung über die Decke, stelle unbedingt sicher, dass die Last an den Fugen übertragen werden kann und die am Lastpfad beteiligten Bauteile, die Belastung aufnehmen können.

  • Zuganker sollten idealerweise direkt an der Rippe befestigt werden. Ist dies nicht möglich, sind Maßnahmen erforderlich, um die Zugkraft sicher zwischen Rippe und Schwelle zu übertragen (aber nicht über die Beplankung!).

  • Verfolge stets den vollständigen Lastpfad und prüfe, ob die Kräfte auch bis ins Fundament weitergeleitet werden.


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Wir können dir das Grundlagenbuch „Aussteifung von Gebäuden in Holztafelbauart“ von Colling und Janßen [1] wärmstens empfehlen.

Quellen

[1] François Colling, Peer Janßen; Aussteifung von Gebäuden in Holztafelbauart - Nach Schubfeldtheorie und erweitertem Schubfeldträger-Modell, 3. Auflage, September 2021

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