Architekten verstehen das Bauen als Kunstwerk. Ein einzigartiges Werk, angepasst an den Ort, die Nutzer und die Umwelt. Aber wie viel Individualität liefert spürbare Mehrwerte - und vor allem: Individualität von was?
Im letzten Positionspapier haben wir uns dem Spektrum des Bauens von der Seite des Rasters, also der sehr starken Standardisierung, genähert. Wir haben herausgearbeitet, dass es individuelle Projekte braucht, um ökologisch und soziokulturell wertvolle Bauwerke zu schaffen, die ihre Aufgabe erfüllen. Aber auch am anderen Ende des Spektrums - zu weit in der Individualität - gibt es Verluste, die wir für wirklich effizientes und nachhaltiges Bauen nicht in Kauf nehmen dürfen.
Wir sehen beim Bauen drei Formen von Individualität: Lösungs-individualität, Prozess-individualität und Projekt-individualität. Das “Problem” Individualität bezieht sich dabei primär auf zwei Teile davon: Lösung und Prozess.
Lösungsindividualität - das Rad immer neu erfinden?
Gerade im Holzbau hat man heute oft das Gefühl, dass jedes neue Großprojekt für seine beachtliche Konstruktion und tolle Anschlussdetails gefeiert wird. Immer wieder werden Systeme neu entwickelt, um auf einzigartige Aufgabenstellungen aus der Architektur zu reagieren. Immer wieder werden aber auch neue Systeme entwickelt, um auf bereits bekannte Aufgaben zu reagieren. Das muss nicht sein.
Aber woran liegt das?
Zum einen sicherlich daran, dass die Vielzahl an Produkten im Holzbau nicht genormt sind. Gerade bei Verbindungsmitteln ist es schwer, Äpfel mit Äpfeln zu vergleichen. Zwei Zuganker, die fast identisch aussehen, können in der technischen Zulassung stark unterschiedliche Festigkeiten aufweisen. Das bedeutet, herstellerunabhängige bzw. standardisierte Planung ist fast nicht möglich.
Dazu kommt, dass viele Holzbauer nur einen gewissen Hersteller verbauen, sodass ein Anschlussdetail genau auf deren Wünsche angefertigt werden muss.
Die genauen Details und Aufbauten, so nimmt man immer wieder wahr, werden in der Branche als Alleinstellungsmerkmal betrachtet. Man glaubt, dadurch ein effizienteres und nachhaltigeres System zu haben, als die Konkurrenz. Und dieses Geheimnis wird geschützt. Das macht eine Standardisierung auch in der Anwendung schwierig.
Natürlich gibt es auch im Holzbau noch viel Neues zu entwickeln, aber wir sind fest davon überzeugt, dass sich wiederkehrende, systematische Lösungen etablieren müssen, um im großen Stil nachhaltig bauen zu können.
Braucht Nachhaltigkeit individuelle Lösungen?
Brauche ich nicht, wenn ich effizient - und damit vermeintlich nachhaltig - auf eine Aufgabe reagieren will, eine passgenaue Lösung?
Klar ist, ich kann nicht überall denselben Kasten hinstellen und glauben damit soziokulturell und ökologisch nachhaltig zu sein. Klar ist aber auch, dass ich nicht für jeden Deckenanschluss ein neues Detail entwickeln muss. Natürlich könnte ich für ein Projekt im Süden eine Holzdübelverbindung realisieren aus regionalem Holz, weil für das konkrete Vorhaben die statischen Randbedingungen es zulassen. Wenn aber dieselbe Verbindung dann beim nächsten Vorhaben nicht wieder verwendet werden kann - habe ich dann wirklich nachhaltiger gehandelt?
Gewinnen wir nicht gemeinsam mehr für die Nachhaltigkeit, wenn wir den Holzbau durch Systematisierung skalierbar machen, als wenn wir auf dem einzelnen Projekt das Beste rausholen?
Wer glaubt, dass er sein Projekt durch das rumoptimieren am Detail wirklich nachhaltiger macht, sieht das große Ganze nicht. Die Zykluszeiten, die wir durch standardisierte Lösungen sparen können, bringen uns in der Gesamtheit weiter als die zwei Vollgewindeschrauben, die wir sparen, wenn wir das Detail für die konkrete Einbaustelle bis zum Ende optimieren.
Auch wenn die Standardisierung den ökologischen Fußabdruck vergrößert, macht sie den Abdruck auf der Kostenrechnung etwas kleiner. Und am Ende wird das gebaut, was günstiger ist. Und immer dann, wenn es am Ende kein Holzbau wird, wird es ein Gebäude aus Beton. Dann hat keiner gewonnen.
Prozessindividualität
Der zweite Teil der Individualität, und der noch viel tragischere, ist Prozessindividualität. Denn nicht nur glauben wir, das Rad immer neu erfinden zu müssen, wir machen das auch noch jedes mal mit einem neuen Team.
Fast jedes Bauvorhaben kämpft mit den gleichen Problemen, die durch neue Planerkonstellationen entstehen: Unklare Abläufe und Verantwortungen, nicht kompatible Schnittstellen in den Programmen, andere Notationen für Anmerkungen, und so weiter.
Gestützt durch das Vergabesystem, das uns immer noch in diese engen Fachplaner-Korsette zwängt, hat sich die Landschaft zu einer Sammlung abgetrennter Silos entwickelt.
Der Tragwerksplaner plant das Tragwerk, übergibt am besten für die Leistungsphase 5 noch an ein anderes Büro und interessiert sich bis auf den zweiwöchigen Regeltermin nicht für die Arbeit des Brandschutzes. Hauptsache, die eigene Leistungsbeschreibung ist erfüllt. Der Projekterfolg steht allerdings bei keinem Planer im Werkvertrag.
Wir sollten daran arbeiten, auf langfristige, eingespielte Beziehungen zu setzen. Die Planer an einen Tisch bringen, um schnell gemeinsam iterieren zu können.
Denn selbst wenn wir immer wieder neue Lösungen finden wollten, dann können wir das mit dem gleichen Team doch immerhin schneller machen. Und natürlich, wenn ein Team sich eingespielt hat, erkennt es auch schnell die Potentiale darin, Lösungen wiederzuverwenden.
Ein weiterer ganz banales, aber mächtiges Argument gegen immer neue Teams ist die fehlende Feedbackkultur. Wenn ich als Team ein Projekt abschließe, das nicht gut lief, kann ich meine Fehler reflektieren und für das nächste Projekt daraus lernen. Wenn es aber kein Team gibt, reflektiert jeder für sich, wie er die Probleme aus seinem eigenen Silo heraushalten kann. Jeder Fragt: “Wie kann ich beim nächsten Werkvertrag weniger Stress mit dem Projekt haben”. Niemand - außer vielleicht der Bauherr, der davon oft am wenigsten versteht - fragt sich also: Wie kann das nächste Projekt zum Erfolg werden?
Wir glauben an Projektindividualität und Prozessstandardisierung
Aus den hier genannten Gründen stehen wir fest dafür, Prozesse zu standardisieren, indem wir Menschen zusammenbringen und gemeinsam erarbeiten, was es wirklich braucht.
Bauen ist eine Aufgabe, die nicht durch Software allein und auch nicht durch kluge Bausysteme gelöst wird. Sondern immer durch das Zusammenspiel von menschlichen Prozessen und guter konstruktiver Standardisierung, die gemeinsam eine Automatisierung durch Software möglich machen.
So können wir Individualität dort zulassen, wo es sie braucht: im Projekt selbst. Denn wir glauben, dass nur Projektindividualität unumgänglich ist. In seiner Anpassung an die räumlichen Gegebenheiten und ein einzigartiges Nutzungskonzept geschrieben von den Menschen, die dort leben und arbeiten sollen.
Dabei setzen wir aber auf standardisierte Lösungen und standardisierte Prozesse, denn dort braucht es die Individualität nicht.